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Mit Weitblick und Beharrlichkeit: Jürg Dietikers Einsatz für autofreie Städte

Jürg Dietiker setzt sich seit über fünfzig Jahren für die Verkehrswende ein, und doch heisst es, ein Mann wie er habe keine Feinde. Wie schafft es der pensionierte Stadtplaner aus Brugg, zu vermitteln ohne seine Haltung zu verlieren?

Jeden Mittwoch um 8 Uhr morgens treffen sich ein pensionierter Stadtplaner, ein pensionierter Physiker, ein pensionierter Informatiker und ein noch arbeitender Architekt im Café Stadtklatsch in der Brugger Altstadt, «um die Welt zu retten».

In ihrer Aussage liegt durchaus Ironie, trotzdem fühlen sie sich so, denn sie reden nicht nur über stadtpolitische Projekte, sondern engagieren sich auch konkret. Einer dieser Männer heisst Jürg Dietiker.

Dietiker ist in Brugg bekannt. Beim Effingerhof, diesem Wohn- und Arbeitsprojekt direkt vor seiner Haustür, engagiert er sich als Moderator. Im Film «Der automobile Mensch» von Reinhard Seiss trat er als Experte auf.

Er entwickelte Mobilitätsstrategien und Verkehrskonzepte für verschiedene Städte, darunter Zürich und Salzburg. Zudem bearbeitete er Forschungsaufträge des Schweizerischen Nationalfonds und von Bundesämtern beispielsweise zur Frage: «Warum steht Paul Müller lieber im Stau als im Tram?» Seine Erkenntnisse gab er als Professor an der Zürcher Hochschule der Angewandten Wissenschaften (ZHAW) weiter.

Stadtplanung ist für Dietiker eine ethische Frage

Man kann Dietiker als linken Visionär bezeichnen, als Alt-68er, von manchen wird er auch belächelt. «Aber einer wie Jürg Dietiker hat keine Feinde», sagt jemand, der ihn kennt. Er sei ein feiner Denker, mit gutem Gespür für die Menschen, aber hartnäckig. Er führe keine grossen Kämpfe, aber mache trotzdem, was er wolle.

Jürg Dietiker (rechts) und Reinhold Henneck im Café Stadtklatsch.

Wenn der 78-Jährige im Café Stadtklatsch sein Denken erklärt, ausnahmsweise nur in Begleitung des Physikers Reinhold Henneck, denn die anderen «Weltretter» sind in den Ferien, tut er das nicht in der Manier eines nörgelnden Herrn. Sondern in einer Mischung aus einem aufrührerischen Studenten und einem alten Gelehrten.

Er hat zu allen möglichen Themen eine Skizze, die er selbst anfertigt, nennt sich Planungsethiker, besitzt neben seinem Ingenieurdiplom einen Master in angewandter Ethik, zudem studiert er seit 26 Semestern an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.

Dietiker stellt den Menschen ins Zentrum seiner Theorie

Seine Vorstellungen hat Dietiker in «zehn Leitsätze für eine nachhaltige Verkehrsplanung» zusammengefasst: «Das Mobilitätsbedürfnis ist unersättlich», ist der erste Punkt; «Wir haben keine Verkehrsprobleme, sondern Probleme mit Menschen im Verkehr», der zweite; «Menschen verhalten sich immer vernünftig – bezogen auf ihren individuellen Nutzen», der dritte; «Verkehrsplanung braucht eine spirituelle Dimension», der letzte Punkt. Im Zentrum dieses Denkens steht immer der Mensch in seiner Umwelt.

Eine von Dietikers Zeichnungen. Bild: Alex Spichale

Der Mensch, der das Auto ins Zentrum seines Tagesablaufs gestellt hat. Der Mensch, der seine Städte um das Auto herum baut. Sein eigenes Auto («ein schöner roter Volvo») hat Dietiker schon 1984 verkauft. Und er lebt seither sehr gut ohne.

Den Autobahnausbau bezeichnet er als Schritt in die falsche Richtung. Statt mehr Fläche zu verbauen, müsse man auf die flankierenden Massnahmen setzen: Den Fussgänger- und Veloverkehr fördern, Strassen verschmälern, Städte so bauen, dass alles in Gehdistanz erreichbar ist.

Seine Skizzen muten teilweise künstlerisch an.Bild: Alex Spichale

Dietiker wiederholt seine Überzeugungen seit fünfzig Jahren, langsam finden seine Ansichten Gehör. Doch er scheint geduldig zu sein: «Revolutionen gingen noch nie gut aus», sagt Dietiker. Vielmehr sei sein Ziel, den Weg in die Zukunft so zu steuern, dass er die richtige Richtung einschlägt. Zwar brauche es eine klare Haltung, doch auch Kompromissbereitschaft. Er glaubt an die kleinen Projekte. Steter Tropfen höhlt den Stein.

https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/brugg/visionaer-aus-brugg-mit-weitblick-und-beharrlichkeit-juerg-dietikers-einsatz-fuer-autofreie-staedte-ld.2701054

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