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«Ich mache nie Ferien»

Zwei Besitzer von Basler Quartierläden erzählen, wie ihr Leben als Kleinunternehmer aussieht.

Ob Snacks, Gemüse oder WC-Papier: Wer in Basel schnell etwas einkaufen will, wird meistens in einem Quartierladen fündig. Vor allem nach 20 Uhr und am Sonntag, wenn Grossverteiler und andere Geschäfte geschlossen sind, werden Quartierläden zum Retter in der Not. Freitagabend und man trifft sich spontan zum Apéro im Park? Im Quartierladen kauft man Bier und Chips. Sonntagmittag und der Kühlschrank ist leer? Im Quartierladen findet man auch Pasta und Pelati.

Doch was viele nicht wissen: Einen Quartierladen zu führen, ist ein hartes Geschäft. Nicht nur die grosse Konkurrenz und die hohen Unterhaltskosten macht vielen Ladenbesitzerinnen und Ladenbesitzern zu schaffen: Durch eine gesetzliche Spezialregelung arbeiten viele jeden Tag, Ferien machen sie nie. Das erzählen zwei Besitzer von Quartierläden in Basel-Stadt.

Nur Familienbetriebe erhalten Spezialbewilligung

«Ich arbeite sieben Tage die Woche und mache keine Ferien. Sogar als vor drei Monaten mein jüngstes Kind auf die Welt kam, stand ich am Abend nach der Geburt wieder im Laden», sagt Lutfullah Safi.

Bild: Kenneth Nars

Sein Laden, das ist der «Safi Coffee and Shop» in der Schönaustrasse 30 im Wettstein-Quartier. Dort verkauft er Lebensmittel wie Gemüse, Tiefkühlware oder Wein, aber auch frische Samosa oder Baklava. Safi ist ein offener und lebensfroher Mann um die vierzig, Vater von drei kleinen Kindern und Afghane.

Der Grund, weshalb Safi sieben Tage die Woche arbeiten muss: In Basel-Stadt erhalten nur Familienbetriebe erweiterte Öffnungszeiten bis 22 Uhr. Das bedeutet, dass familienexterne Mitarbeitende nur zu regulären Zeiten arbeiten dürfen. Nach 20 Uhr und am Wochenende muss ein Familienmitglied im Laden stehen.

Bild: Kenneth Nars

Doch Safis Frau hat eine eigene Arbeit und er hat in der Schweiz keine anderen Familienmitglieder. Deshalb arbeitet Safi jeden Tag. Für seine Frau und die Kinder sei das eine grosse Belastung, sagt er. Damit sich die Familie trotzdem sieht, treffen sie sich jeweils zum gemeinsamen Mittagessen im Laden.

Familienzeit im Quartierladen

Auch bei Estifanos Geberemedhn trifft sich die Familie in seinem Laden. Er ist Inhaber des Red Sea Shop am Claragraben 160 im Matthäus-Quartier. Hier verkauft Geberemedhn nicht nur herkömmliche Waren: In einem Nebenzimmer stapeln sich eritreische und äthiopische Produkte wie Teffmehl, das gesäuerte Fladenbrot Injera oder eritreischer Kaffee, aber auch Haarpflegemittel, Schmuck und Kleidung. Dadurch ist der Laden ein Treffpunkt für Personen aus Äthiopien und Eritrea, aber auch dem Sudan und weiteren Ländern mit einer ähnlichen Kultur.

Der Red Sea Shop am Claragraben. Bild: Kenneth Nars
Der Red Sea Shop am Claragraben. Bild: Kenneth Nars

Sohn Dawit und Tochter Elsa arbeiten Vollzeit in anderen Bereichen, doch in ihrer Freizeit unterstützen sie den Vater im Laden. «Es ist abwechslungsreicher, als einfach zuhause zu chillen», sagt Elsa. Und Dawit meint: «Ich mache es nicht, weil ich muss, sondern weil ich es von Herzen gerne mache.»

Trotzdem ist Geberemedhn die meiste Zeit allein. Darauf angesprochen, was er mache, wenn er krank werde, schaut er etwas gequält und ratlos, dann sagt er: «Dann mache ich zu.» Dann fügt er an: «Zum Glück war ich bisher noch nie krank.»

«Alle fünfzig Meter gibt es einen Laden»

Zumachen, das könnte sich Safi nicht leisten. «Wenn ich eine Woche schliesse, gehen meine Kundinnen und Kunden zu anderen Läden und kommen nicht zurück», sagt er. Denn die Konkurrenz ist gross. «Es gibt alle fünfzig Meter einen Laden», sagt Geberemedhn.

Bild: Kenneth Nars

Vor allem auf das Matthäusquartier und das Wettsteinquartier, wo Geberemedhn und Safi ihre Shops betreiben, scheint das zuzutreffen. Zwar lässt sich die genaue Zahl der Quartierläden nur schwer beziffern, denn das statistische Amt Basel hat Quartierläden nicht als separate Kategorie geführt.

Eine Annäherung ist aber möglich: Über die Anzahl Unternehmen, welche hauptsächlich Nahrungs- und Genussmittel, Getränke und Tabakwaren verkaufen. In dieser Kategorie wurden nur die Unternehmen ausgewählt, welche weniger als zehn Mitarbeitende beschäftigen und eine Verkaufsfläche unter 100 Quadratmeter haben. Die aktuelle Zählung umfasst die Zeitperiode 2012 bis 2021.

Serie Quartierläden von Lisa: Weiter Fotos von Safi Coffee an der Schönaustrasse 30.
Bild: Kenneth Nars

Aufgrund der ungenauen Datenlage wird darauf verzichtet, in diesem Artikel die exakten Zahlen pro Quartier zu nennen. Trotzdem können aus den Zahlen Schlüsse gezogen werden: Die grösste Dichte an Quartierläden liegt im Matthäusquartier vor. Allgemein sind Quartierläden in migrantisch geprägten Quartieren mit tieferem Lebensstandard häufiger, als in privilegierten Quartieren. Neben dem Matthäusquartier haben auch die Quartiere Gundeldingen, St. Johann, Wettstein und Iselin viele Shops. Quartiere mit einer wohlhabenderen Bevölkerung wie im Bruderholz oder Riehen haben wenige bis keine Quartierläden.

Das überrascht nicht, werden Quartierläden grösstenteils von Personen mit Migrationshintergrund und wenig Privilegien geführt. «Als ich den Laden 2015 eröffnet habe, war ich der einzige eritreische Laden im Quartier. Jetzt gibt es sechs Läden mit den gleichen Produkten», sagt Geberemedhn. Auch diese Entwicklung lässt sich mit Zahlen belegen. Im gesamten Kanton hat die Anzahl der Quartierläden seit 2012 zugenommen, im Jahr 2021 lag sie bei 45 Shops.

Für die bestehenden Geschäfte ist das schwierig: Die grössere Konkurrenz ist aber wahrscheinlich nicht der einzige Grund, wieso Quartierläden oft unter finanziellem Druck stehen. Ein weiterer, wichtiger Faktor dürfte die allgemeine Preissteigerung sein: «Vor Corona konnte man von so einem Laden noch leben, doch heute ist es schwierig», sagt Geberemedhn. Und Safi meint: «Ich zahle 900 Franken pro Monat allein für den Strom, dazu kommt noch die Miete. Am Schluss bleibt wenig übrig.»

«Wenn du selbstständig bist, bist du frei»

Doch bei all den schweren Bedingungen: Mit ihrem Job als Quartierladenbesitzer sind sowohl Safi, als auch Geberemedhn zufrieden: «Ich würde zwar ab und zu gerne Ferien nehmen, aber ohne Arbeit kann ich nicht lange sein. Ich kann nicht gut stillsitzen und brauche viel Beschäftigung», sagt Geberemedhn.

Für Safi bedeutet der Laden ein Stück Unabhängigkeit: «Wenn du selbstständig bist, bist du frei. Niemand sagt dir, was du tun sollst.» So geniesse er es, wenn seine Familie zu Besuch komme oder wenn er mit Freunden vor dem Geschäft einen Kaffee trinkt.

Dass ihre Kinder den Laden übernehmen würden, wollen aber beide nicht: «Wenn sie mir irgendwann helfen, ist das schön. Aber ich fände es gut, wenn meine Kinder studieren würden», sagt Safi, «ich hatte weder in Afghanistan noch in der Schweiz Zeit dafür. Ich musste leider arbeiten.»

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