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Braucht die Basler Jugend einen neuen Kulturraum?

Die Schliessung des Sommercasinos (Soca) wurde von vielen beklagt, obwohl das Kulturhaus unter sinkenden Besuchendenzahlen litt. Braucht die Jugend ein neues Soca? Oder ist das pure Nostalgie?

Mit dem Vertrag kamen die Erleichterung und das leichte Kribbeln der Vorfreude. Ein Vertrag mit dem Sommercasino, einem richtigen Club mit guter Musikanlage und Bar war der nächste grosse Schritt. Die Freude hielt zwei Wochen. Dann erzählte Maxim Latscha die Neuigkeit einem Freund: «Wir können im Soca eine Veranstaltung machen, ist das nicht cool?» Dieser reagierte nicht begeistert, sondern irritiert: «Aber das Sommercasino schliesst doch.» Und damit war der Traum auch schon geplatzt. Die Gruppe erfuhr die schlechten Nachrichten von ebendiesem Freund und aus den Medien.

Latscha ist Teil einer Gruppe junger Menschen zwischen 17 und 19 Jahren, die in Basel Partys veranstaltet. Dafür buchen sie Basler DJs, die diverse Musikrichtungen von Techno über Breakbeat und Drum ’n’ Bass bis Baile Funk spielen. Gagen lagen bisher finanziell noch nicht drin, bald können sie aber aus der Spendenkasse einen kleinen Beitrag an die DJs zahlen.

Bisher fanden die meisten Events auf privatem Grund statt, eingeschränkt durch die Nachtruhe, lärmempfindliche Nachbarn und die fehlende Ausschankbewilligung. Musikanlage, Stromgenerator und Mischpult mussten jedes Mal aufwendig organisiert werden. Hilfreich war das grosse Netzwerk der Gruppe, ohne die vielen Bekannten in der Stadt hätten sie es nie geschafft. Das Soca hätte sie entlastet.

Nun sitzen sie an einem sonnigen Tag auf der Wiese vor dem Jugendhaus und erzählen. Denn die Fragen, die seit der Schliessung immer und immer wieder gestellt werden, auf dem politischen Parkett, in privaten Gesprächen am WG-Tisch, in den sozialen Medien und auch am letzten Abend vor dem Soca sind: Wie weiter? Wird es ein neues Soca geben? Und braucht es das überhaupt noch? Die Antwort auf die letzte Frage haben nicht zuletzt die, welche das Soca belebt und genutzt haben. Neben Latscha mit dabei sind Selma Faust, Luan Lopez, Yanik Weihofen und Samuel Hanauer.

«Das Soca war ein freier Ort»

«Die Schliessung des Soca ist kein schlimmer Einschnitt. Es ist nicht so, dass wir immer hier waren und jetzt wüssten wir nicht wohin», meint Faust. Sie sei maximal zwei bis drei Mal pro Jahr im Soca gewesen. «Trotzdem, es war ein Treffpunkt der Jugendlichen. Wenn man hierherkam, kannte man die Leute. Dass das nun wegfällt, ist schade», ergänzt Weihofen.

Sie wollten im Soca veranstalten, doch dann ging es zu Bild: Kenneth Nars

Am meisten vermissen wird die Gruppe die Möglichkeiten, die das Soca brachte: das erste Mal clubben. Und das erste Mal Events organisieren, ohne finanziellen Druck und mit guter Unterstützung, aber auch ohne die schulmässige Betreuung wie in einem Jugendzentrum.

«Das Soca war ein freier Ort. Dort konnten wir mitgestalten, es war ein Ort von Jugendlichen für Jugendliche», meint Lopez. Das unterscheide das Soca auch von anderen Clubs wie der «Heimat», wo Jugendliche zwar feiern gehen können, die Partizipationsmöglichkeiten aber viel niedriger seien. «So etwas wie das Sommercasino gibt es jetzt nicht mehr in Basel», sagt Faust und die Gruppe nickt.

Jugendliche fordern autonome Räume

Die Schliessung des Soca hinterlässt also ein Vakuum. Die Frage, ob dieses wieder gefüllt wird, ist noch nicht abschliessend geklärt. Wie die BaZ schreibt, plant Immobilien Basel-Stadt in der alten Villa eine Zwischennutzung. Diese sei jedoch noch nicht spruchreif, schreibt das Erziehungsdepartement (ED) auf Anfrage.

Dass im ehemaligen Jugendkulturhaus eine weitere Zwischennutzung entstehen soll, stösst einigen Jugendlichen sauer auf. Am 3. August, dem letzten Abend des Soca, fand sich dort eine kleine Gruppe junger Leute zusammen, die einen autonomen Jugendraum forderte. Falls sie diesen nicht bekommen, würden sie ihn sich einfach nehmen, schreiben sie auf einem Flyer.

Eine Forderung nach autonomen Räumen. Bild: zvg

«Uns wird erzählt, dass es sich durch die Möglichkeit, Räume ganz offiziell und legal zwischenzunutzen, mit der Notwendigkeit von Besetzungen erledigt hätte. Doch wozu sollen wir uns von einer Verwaltung vorschreiben lassen, wie und zu welchem Preis wir uns in unseren Räumen ausleben dürfen?» Zudem würden Zwischennutzungen der Gentrifizierung einer Stadt den Weg bereiten, indem sie zur Aufwertung und schliesslich zur Verdrängung der ehemaligen Nutzerinnen und Nutzer des Quartiers beitragen würden.

Wer Kantonsgelder will, muss bürokratisch arbeiten

Damit treffen sie einen Nerv. Schon in den Jugendprotesten der 1980er-Jahre wurden Freiräume gefordert. Die Proteste zeigten insofern Wirkung, als viele Jugendkulturräume entstanden, die Jugendarbeit wuchs und in den Verwaltungen Gefässe zur Förderung alternativer Kultur geschaffen wurden.

So gibt es heute beispielsweise GGG Kulturkick und das Musikbüro Basel, die Kulturfördergelder vergeben. Es gibt den kantonalen Beauftragten für Club- und Nachtkultur, Sandro Bernasconi, der seine ersten Schritte im Soca tat. Und 2020 wurde die Trinkgeldinitiative angenommen, aufgrund welcher mehrere Basler Kulturorte Gelder erhalten. Das Soca gehörte nicht dazu, weil es sowieso bereits mit 825’000 Franken im Jahr vom Kanton unterstützt wurde.

Doch wirklich autonome Räume entstanden nicht, mit der staatlichen Unterstützung hielt die Bürokratie Einzug. Wenn man Kulturfördergelder beantragt, muss man gut ausweisen können, was einem genau als Projekt vorschwebt. Einfach mal ohne konkreten Plan ausprobieren ist nicht möglich. Auch in einem Freiraum wie dem Soca kam man nicht drumherum: «Wir mussten tabellarisch belegen, wie viele Betreuungseinheiten wir pro Jugendliche geleistet haben. Das übernimmt man von der Businesswelt und stülpt es der pädagogischen Arbeit über», sagt George Hennig, der das Sommercasino von 1995 bis 2009 leitete.

Dem Sommercasino fehlte trotzdem das Geld

Ohne Subventionen gehe es aber nicht, meint Hennig, heute noch weniger als früher. «Der Tonträgermarkt, ob Vinyl oder als CD, ist Teil des Einkommens der Musikerinnen und Musiker. Als Spotify kam, brach das ein.» Denn gerade unbekannte Künstlerinnen und Künstler könnten davon kaum leben, weil die Musikplattform nur 0,003 bis 0,005 Rappen pro Stream bezahlt. Die Folge davon sei, dass Bands ihre Gagen erhöhen, um nur schon den Minimalaufwand zu decken. Mit dieser Entwicklung kämpft nicht nur das Soca, sondern auch gänzlich kommerzielle Kulturhäuser.

George Hennig, ehemaliger Socaleiter. Bild: Lisa Kwasny

Das Soca hatte aber noch andere Probleme: «Wir waren stark unterfinanziert, haben der Geschäftsleitung und dem Team nur tiefe Löhne auszahlen können», sagt Jo Vergeat. Sie ist nicht nur Grossrätin der Grünen und Mitinitiantin der Trinkgeldinitiative, sondern auch im Vorstand des Vereins Junge Kultur Basel, welcher das Soca geführt hatte. Das Sommercasino habe immer mit einer hohen Freiwilligenbasis funktioniert, viele Partys seien von jungen Kollektiven organisiert worden. Die Corona-Generation habe aber keinen Anschluss im Nachtleben gefunden, so fehlten Gäste und auch Veranstalterinnen und Veranstalter.

Jo Vergeat ist im Vorstand des Vereins Junge Kultur Basel.Bild: Kenneth Nars

Man habe versucht, die Jugendlichen zur Partizipation zu ermutigen, meint Vergeat. «Doch wenn die Ansprech- und Betreuungspersonen so stark in den Veranstaltungsbetrieb involviert sind, werden die Ressourcen im ökonomischen Stress gebündelt», resümiert sie. Die Ressourcen hätten am Ende gefehlt, um die Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen. Der Kanton lehnte eine Erhöhung der Subventionen ab, das Haus schloss mit einem Defizit von 11’000 Franken.

«Basel-Stadt hat einen Überschuss von über 400 Millionen Franken im Kantonshaushalt und will sich ein Jugendkulturhaus nicht leisten? Das verstehe ich nicht», meint Hennig, «mit dem Soca verliert Basel ein multidisziplinäres Haus der jugendkulturellen Träume, das über Jahrzehnte tapfer zwischen Kommerz und realitätsnaher Pädagogik balancierte.»

Das Erziehungsdepartement verteidigt sich, das finanzielle Defizit sei nicht der alleinige Grund für die Schliessung gewesen. Den konkreten Grund für die Schliessung wird jedoch nicht kommuniziert. Doch auch Vergeat findet: «Dass man versuchen muss, schwarze Zahlen zu schreiben, ist aus unserer Sicht unrealistisch. Ich finde nicht, dass Jugendkultur sich lohnen muss.»

«Uns geht es nicht ums Geld, wir wollen Räume»

Zurück zum Protest vor dem Soca für autonome Räume. Denn Hennig und Vergeat sind zwar für so wenig Verwaltung wie nötig und verstehen das Bedürfnis nach Autonomie. «Aber man kriegt nicht einfach Geld und der Kanton schaut weg», meint Hennig pragmatisch. Und Vergeat sagt: «Es braucht eine Legitimation zur Verteilung der Gelder.»

Doch die Aktivistinnen und Aktivisten, die am letzten Abend vor dem Soca die Flyer verteilten, wollen gar keine Gelder: «Wir brauchen keine Verträge und wollen uns auch nicht von Subventionen der Stadt abhängig machen. Uns geht es nicht ums Geld, wir wollen Räume», schreibt die Gruppe.

Dass ein gewisser Teil der Jugendkultur auch ohne Subventionen auskommt, zeigen die Hausbesetzungen. Diese werden in der Diskussion um Jugendkulturräume oft vergessen, doch sie bieten zumindest für einen kleinen Teil der Basler Bevölkerung einen florierenden kulturellen Treffpunkt. «Besetzungen wie die Elsi hätten schon das Potenzial, die Lücke vom Soca zu füllen. Man müsste den Raum halt bekannter machen», sagt Faust von der Gruppe, die im Soca veranstalten wollte. «Aber es ist schwierig, dass die Elsi mehr Reichweite bekommt, weil sie illegal ist», wirft Lopez ein.

Eine Lösung aus dem Dilemma ist nicht in Sicht. «Als Verwaltung müssen wir gesetzliche Grundlagen und Vorgaben ans Vorgehen einhalten. In diesem Rahmen können wir für autonome, nicht institutionalisierte Nutzungen kein Ansprechpartner sein», schreibt das Erziehungsdepartement. Sie seien jedoch daran, zusammen mit den relevanten Akteuren und interessierten Jugendlichen die Bedürfnisse zu klären. Konkrete Verhandlungen für ein neues Jugendkulturhaus gebe es aber keine.

https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/jugendkultur-nach-dem-ende-des-sommercasinos-braucht-die-basler-jugend-einen-neuen-kulturraum-ld.2657679

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