Ziviler Ungehorsam. Dem Begriff schwingt ein Hauch Revolution mit. Er ruft Bilder hervor, von Protesten, Plakaten und emotionalen Reden; Martin Luther King, Aktionskunst, Pussy Riot, Gandhi, Klimajugend und Menschen, die sich von der Polizei wegtragen lassen. Doch was davon ist wirklich ziviler Ungehorsam? Und was wäre es, wenn es kein ziviler Ungehorsam ist?
Der Begriff «ziviler Ungehorsam» sagt schon einiges über sein Wesen aus. Es soll ein anständiger Ungehorsam, ausgeführt von Einwohner*innen eines Staates, sein. Man begegnet dem Begriff ‘zivil’ auch im Wort ‘Zivilisation’ oder im ‘zivilisierten Verhalten’. Ungehorsam bezeichnet die Praxis, durch die bewusst gegen bestehende Normen gehandelt oder Gesetze gebrochen werden. ‘Ziviler Ungehorsam’ scheint eher ein seltsames Wortpaar zu sein, wenn man genauer darüber nachdenkt. Wie kann ein Gesetzesbruch anständig sein, wenn doch die Gesetzestreue als Grundvoraussetzung des anständigen Bürgers gilt?
Eine Protestform
Grundlegend kann der zivile Ungehorsam als Form des Protests gegen Ungerechtigkeiten verstanden werden. Vom Urvater des zivilen Ungehorsams, Henry David Thoreau, über weitere Praktizierende und Theoretiker*innen des zivilen Ungehorsams, wie zum Beispiel Martin Luther King, John Rawls, Joseph Raz, Hannah Arendt und Robin Celikates, würden wohl alle diesen Punkt unterschreiben. Doch wie wird dieser Protest genau ausgeführt, was gehört dazu und was nicht? Da gäbe es das Beispiel Henry David Thoreaus, welcher Mitte des 19. Jahrhunderts alleine im Wald in einer Holzhütte lebte und sich weigerte, die Steuer zu bezahlen, denn diese wäre für Sklaverei und einen Krieg eingesetzt worden, welche Theoreau ablehnte. In den meisten anderen Fällen ist der zivile Ungehorsam eine Gruppenangelegenheit. Bei den Protesten, welche durch Rosa Parks zivilen Ungehorsam 1955 ausgelöst wurden, wurden viele Menschen mobilisiert, um gegen Gesetze zu demonstrieren, welche einen Teil der US Bevölkerung diskriminierte. Rosa Parks hat damals das Gesetz gebrochen, weil sie ihren Sitzplatz nicht für eine weisse Person freimachte. Die darauffolgenden Freedom Rides der 60er Jahre, bei welchen schwarze und weisse Bevölkerung gemeinsam mit Überlandbussen durch die Südstaaten der USA fuhren, und sich dabei nicht an die Rassentrennung im öffentlichen Verkehr hielten, haben breite öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Für die Freedom Rides wurden die Teilnehmenden nicht nur verhaftet, sondern vom Ku-Klux-Klan und anderen Rassisten regelmässig tätlich angegriffen und fast ermordet. Die Gruppe, welche die Freedom Rides organisierten und durchführten war nicht besonders gross. Sie generierten aber sehr grosse mediale Reaktionen und gehören zu den Anfängen einer Reihe von Protesten und Akten des zivilen Ungehorsams innerhalb der Bürgerrechtsbewegung der USA.
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