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So erleben Betroffene in Bern den Israel-Konflikt

Eskalation in Nahost Wut auf Fanatismus, Wunsch nach Dialog und Umgang mit innerer Zerrissenheit: Eine emotionale Auslegeordnung von Menschen mit Bezug zum Nahostkonflikt. Von Lisa Kwasny, Cedric Fröhlich und Martin Erdmann

Die Schweiz ist eines der sichersten Länder der Welt. Deswegen können sich hier nur wenige vorstellen, was es wirklich heisst, direkt von einem Krieg betroffen zu sein. Schon gar nicht, wenn es sich um einen komplizierten Konflikt wie jenen im Nahen Osten handelt.

Wir haben mit Bernerinnen und Bernern geredet, die in
den Sog der Eskalation geraten sind. Die wissen, was Krieg bedeuten kann. Seit dem Hamas-Terror vom 7. Oktober ist ihre Gefühlswelt aus den Fugen geraten. Sie erzählen von Ohnmacht, innerer Zerrissenheit und der Suche nach Hoffnung. Monique Heymann schickt vor Gesprächsbeginn eine Warnung voraus: «Es kann jederzeit sein, dass ich wegspringen muss.» Seit dem 7. Oktober heult über Tel Aviv beinahe täglich der Raketenalarm. Der 38-jährigen jüdischen Bernerin ist das Geräusch nicht fremd.

«Ich will auf keinen Fall nur die Seite von Israel einnehmen»

Sie kennt Tel Avivs Zeichen der Gewalt und hat gelernt, mit ihnen zu leben. Heymann erzählt von einem Anschlag in einer beliebten Ausgehmeile, der vor ein paar Monaten stattgefunden hat. «Das hat mich aber nie davon abgehalten, in den Ausgang zu gehen.»

Nun ist alles anders. «Die Situation erinnert mich an den ersten Covid-Lockdown.» Das öffentliche Leben ist eingedämmt, Monique Heymann geht nicht mehr viel raus. Höchstens, um Kolleginnen in einem Restaurant zu treffen. «Aber nur, wenn es einen Luftschutzraum in der Nähe hat.»

Dennoch sieht sie sich in einer privilegierten Situation. «Ich bin alleinstehend und habe keinen Mann im Militär, um den ich Angst haben muss.»

Heymann wohnt seit neun Jahren im arabischen Teil von Tel Aviv. Sie ist gekommen, um berufliche Erfahrung im Ausland zu sammeln, und nicht, um explizit in einem jüdischen Staat zu leben. «Zionistische Gründe standen bei meinem Umzug nicht im Vordergrund.» Sie sah sich stets eher als Teil einer Tel-Aviv- Bubble denn als Teil Israels. «Die Stadt ist sehr international, lebendig und liberal.»

Dieses Zugehörigkeitsgefühl hat sich in den letzten Wochen etwas verlagert. «Ich fühle mich nun auch als Teil der traumatisierten israelischen Bevölkerung.» Israel hat für sie eine wichtige Funktion. «Das Land bedeutet für mich einen Ort, wo Juden geschützt sind, wenn sie anderswo verfolgt werden. Das ist irgendwo im Hinterkopf.»

Es ist ein Gedanke, der nun aber in den Vordergrund rückt. «An Palästina-Demonstrationen und im Internet wird Antisemitismus offen zur Schau gestellt.» Heymann fragt sich: «Haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich nichts dazugelernt?»

Sie kann es nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die sie aufgrund ihrer Religion vernichten wollen. «Das macht mich extrem wütend.» Sie glaubt zwar immer an das Gute im Menschen, doch die Anschläge vom 7. Oktober stellen diesen Glauben auf die Probe. «Hier bin ich so weit, dass ich den Verantwortlichen den Tod wünsche. Auch wenn das extrem heftig klingt.»

Eines ist ihr dabei wichtig zu betonen: «Ich will auf keinen Fall nur die Seite von Israel einnehmen.» Sie bezeichnet sich als friedensbedürftigen Menschen und hofft, dass es nach diesem Krieg einen zukunfts- und lösungsorientierten Dialog mit den Palästinensern geben wird.

Das scheint momentan in weiter Ferne. Was in rund 70 Kilometer Luftlinie von ihr entfernt im Gazastreifen passiert, beschäftigt Heymann sehr. «Es ist extrem hart, was die Zivilbevölkerung durchmachen muss, die nicht mit der Hamas zu tun hat. Das ist der Horror.»

Was gibt ihr Hoffnung? Heymann scheint von der Frage etwas überfordert und sagt dann: «Irgendwie muss es einfach gut kommen.»

«Die Fanatiker töten den Glauben an den Frieden»

Shukri Al Rayyan sitzt in einer Berner Bar und spricht über den Kreislauf des Todes. «Seit ich denken kann, geht das so.» Er wirkt tieftraurig. Rayyan ist 62 Jahre alt, ein feiner Mann mit Schatten unter den Augen. Aufgewachsen in Damaskus, lebt er heute mit seiner Familie in Burgdorf. Sein palästinensischer Vater wurde einst aus Haifa vertrieben; vor neun Jahren musste er selbst vor dem Bürgerkrieg in Syrien fliehen.

Rayyan glaubt längst nicht mehr an Gott und erst recht nicht
an die Männer, die vorgeben, dessen Willen zu vollstrecken. Als er am 7. Oktober den Laptop einschaltete, erstmals von der Ermordung und Entführung von israelischen Kindern, Frauen und Männern las, da dachte er sich: «Terror ist ein zu gutes Wort dafür.»

Die Zerstörung Gazas und das Elend der dortigen Zivilbevölkerung – in seinen Augen folgt all das einem nihilistischen Kalkül: «Die Fanatiker töten den Glauben an den Frieden, das war immer so.» Es folgt der Gegenschlag. Hilfe von der westlichen Wertegemeinschaft erwartet er ohnehin keine. Alles dreht sich im Kreis.

Hier weiterlesen:

https://www.bernerzeitung.ch/eskalation-in-nahost-das-denken-vom-krieg-betroffene-berner-971275219574

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